In der Syntropischen Landwirtschaft werden Prozesse, die natürlicherweise vielleicht 1000 oder mehr Jahre benötigen, im laufenden landwirtschaftlichen Betrieb in wenigen Jahren oder Jahrzehnten herbeigeführt. Die Rede ist von der Wiederherstellung natürlicher Ökosysteme durch Menschenhand. Was steckt nun dahinter und wie funktioniert diese selbstbestimmte Agrarwende?

Was ist Syntropische Landwirtschaft?

Die Syntropische Landwirtschaft ist eine Form der regenerativen Landwirtschaft, die das Ökosystem des Regenwaldes nachahmt. Stellt Euch einen Regenwald im Amazonasgebiet vor: Hunderte verschiedene Pflanzenarten leben hier harmonisch und auf sehr dichtem Raum zusammen. Diese Arten benötigen unterschiedlich viel Licht. Die hohen Bäume absorbieren das Sonnenlicht und spenden anderen Arten Schatten. Infolgedessen gibt es Tausende verschiedener Pflanzen, die das ganze Jahr über Früchte ausbilden (nicht nur im Frühjahr und im Herbst) und an jedem Tag des Jahres Nahrung für unzählige Arten bieten.

Es versteht sich von selbst, dass etwas so Komplexes und genetisch Vielfältiges wie der Amazonas-Regenwald nicht von Menschenhand nachgebildet werden kann. Die Syntropische Landwirtschaft orientiert sich jedoch an folgenden Leitlinien: Viele Arten mit völlig unterschiedlichen Eigenschaften (Höhe und Größe) und Lebenszyklen werden auf sehr dichtem Raum gepflanzt. Bei kluger Auswahl der Pflanzenarten können in den kommenden 20 Jahren jede Woche Obst, Gemüse, Kräuter, Getreide und Holz entnommen werden. Der Boden wird nicht brach gelassen. Kulturpflanzen werden rechtzeitig geerntet und Bäume rechtzeitig beschnitten, damit die nächsten Pflanzen an die Reihe kommen und Früchte ausbilden können. Schließlich wird die Direktsaat in der syntropischen Landwirtschaft häufig dem Umpflanzen vorgezogen, da sie zu dichteren und vielfältigeren Ökosystemen führt.

Wer ist der Pionier?

Die Syntropische Landwirtschaft ist ein von Ernst Götsch entwickeltes, aus theoretischen und praktischen Komponenten bestehendes Modell der Landbewirtschaftung. Natürliche Prozesse werden in ihrer Form, Funktion und Dynamik in landwirtschaftliche Verfahren umgesetzt. Grundlage ist die Idee, dass sich Flächen durch Nutzung erholen: Durch die Schaffung hochproduktiver landwirtschaftlicher Flächen werden (in der Regel unabhängig vom Einsatz von Zusatzstoffen oder Bewässerung) Ökosysteme herbeigeführt. Besonderes Augenmerk gilt hier dem Bodenaufbau, der Regulierung des Mikroklimas und der Förderung des Wasserkreislaufs. Die Ernte wirkt sich dabei zyklisch ergänzend auf die Regeneration der Ökosysteme aus. Komplexe Pflanzengesellschaften und eine Reihe von weiteren Bewirtschaftungsmethoden, wie Beschneiden und Bodenbedeckung, fördern den Nährstoffkreislauf und beschleunigen die Umwandlung, die auf natürlichen Brachflächen jahrelang dauert. Es handelt sich hierbei um eine prozessbasierte, und nicht um eine hilfsmittelbasierte Landwirtschaft. Ihr Ziel ist immer die Verbesserung der Lebens- und Energiemenge im System.

„Grundlage ist die Idee, dass sich Flächen durch Nutzung erholen. Das Leben ist von Natur aus syntropisch, und unsere Agrarsysteme sollten seine vielschichtigen Charakteristika widerspiegeln.“

Ernst Götsch

Während die klassische Agroforstwirtschaft häufig mit Nutztieren kombiniert wird, zum einen die Fläche mehrfach zu nutzen, zum anderen für Direktdüngung und Bodenbearbeitung durch die Tiere, basiert die Syntropische Landwirtschaft rein auf den kleinstmöglichen Kreisläufen der Anbaufläche selbst.

Das heißt: Die Bäume werden regelmäßig geästet, Sträucher beschnitten, Gräser gemäht und Ernterückstände genutzt. Alles zusammen dient als Mulch und organischer Dünger, verhindert Bodenverluste durch Hitze, Wind oder Starkregen, verbessert die Mikrobenaktivität, reguliert die Beikräuter und führt konstant Nährstoffe zurück in den Boden. Durch die dauerhafte Durchwurzelung speichert der Boden immer mehr CO₂ und es entsteht eine luftige Krümelstruktur im Boden, die die Wasserhaltefähigkeit maximiert.

Quelle: amazonian-future

Unterscheidung zwischen der syntropischen und ökologischen Landwirtschaft
von Ernst Götsch

Düngung
Der biologische und der syntropische Landbau sind zwei Schwestern, die von der gleichen Idee ausgehen. Aber die Entwicklung unterschiedlicher Lösungsansätze für tägliche Umsetzungsprobleme hat sie auf verschiedene Pfade geführt. Der biologische Landbau zielt darauf ab, die chemische Düngung (wie sie in der konventionellen Landwirtschaft üblich ist) durch eine organische Düngung (Komposte aus organischen Abfällen, Gründüngung, Gülle usw.) zu ersetzen. Im syntropischen Landbau arbeiten wir mit dem Konzept, die verschiedenen Pflanzenarten von der Einführung des Systems bis hin zur kontinuierlichen Bewirtschaftung so zu arrangieren, dass sie selbst ihren eigenen Dünger produzieren. Zu diesem Zweck pflanzen wir Bäume, Büsche, Gräser und Kräuter in hoher Dichte, die die Eigenschaft besitzen nach dem Zurückschneiden kräftig nachzuwachsen.

Beschnitt
Der periodische Rückschnitt, der auf den Boden fällt, führt – neben der Versorgung unserer Kulturen mit Licht – zu einer großen Menge an organischer Substanz, die die Bodenorganismen belebt und versorgt und damit indirekt unsere Pflanzen düngt. Ein zusätzlicher Vorteil neben Licht und Dünger ist der Effekt der Verjüngung des gesamten Systems, der nach dem Rückschnitt auftritt: Hinweise auf ein neues kräftiges Wachstum und neue Vitalisierung für das gesamte System, ausgelöst durch das Nachwachsen unserer Verbündeten.

Erhaltung der Kraft des Systems
Diese Idee führt uns zum nächsten Unterschied zwischen dem biologischen und dem syntropischen Landbau: Der biologische Landbau beinhaltet die pflanzen-gesundheitliche Kontrolle, d. h. den Kampf gegen Krankheiten und Schädlinge. Das Ergebnis ist der Einsatz von Präparaten und Mineralstoffmischungen, welche zur Stärkung von Pflanzen, zur Abtötung oder Abwehr von Schädlingen und Krankheiten dienen. Dies sind Werkzeuge, die als Folge der Trennung, nämlich der Trennung zwischen Gut und Böse, entwickelt und eingesetzt werden. In Falle des syntropischen Landbaus arbeiten wir daran, die Kraft und den Wohlstand des gesamten Systems zu erhalten. Wir behandeln Schädlinge oder Krankheiten als Indikatoren für Schwächen in unseren Pflanzungen, die durch unsere eigenen Fehler verursacht werden. Fehler, die beim Design oder Management unserer Agrar-Ökosysteme gemacht wurden. Wir betrachten Schädlinge und Krankheiten als indirekte Verbündete, Mitglieder des Immunsystems des Makroorganismus Leben auf dem Planeten Erde (zu dem wir gehören).

Kein Gut und Böse
Aus dieser Perspektive gibt es weder Gut noch Böse. Stattdessen erkennen wir eine Funktion. Diese Mitwirkenden, die als Schädlinge betrachtet werden, können uns indirekt Hinweise geben, wie wir organischer mit dem Makroorganismus umgehen können, sodass eine Notfallversorgung durch die »Feuerwehrleute des Systems« nicht erforderlich ist. Deshalb sind sie wieder einmal Verbündete, Mitglieder des Immunsystems, gleich den weißen Blutkörperchen in unserem Körper, die handeln und sich vermehren, wenn die Lebensprozesse in ihm (Makroorganismus) die vorgegebene Bahn verlassen.

Die wichtigsten Verfahren der Syntropischen Landwirtschaft
Komplexe Pflanzengesellschaften: Syntropische Landwirtschaft folgt dem Prinzip der Sukzession, also der natürlichen Abfolge von Pflanzengemeinschaften auf einer Fläche. Auf Brachflächen kommen zuerst Pionierpflanzen, mehrere Folgepflanzengesellschaften und am Ende steht eine sogenannte Klimax-Vegetation, das Ergebnis ungestörten Wachstums.

Selektive Auslese: Pflanzen, die im Prozess der Sukzession ihre Aufgabe erfüllt haben, werden aussortiert. Andere, meist höhere und anspruchsvollere, kommen hinzu. Beschnitt und Auslösen von Impulsen: Insbesondere zur Synchronisation von Abläufen bei der Stratifikation (Bildung von vertikalen Lebensräumen – siehe hierzu nachfolgende Abbildung), zur Verjüngung des Systems und zur Steigerung der Folgepflanzengesellschaften. Bodenbedeckung: Mulch und Pflanzenschnitt, die den Boden bedecken, verhindern, dass Wasser verdunstet, und halten die Erde feucht. Indirekte Anreicherung der Bodenmikrobiota.

Quelle: https://www.ernstgoetschworkshop.de/

Neuartige Maschinen

Um die syntropische Landwirtschaft ökonomischer zu machen, entwickelte der 71-jährige Götsch eigens dafür neue Maschinen. Zusammen mit dem Schweizer Maschinenbauer Rhenus TEK, einer Jungfirma aus Altstätten im St. Galler Rheintal, arbeitet er an der Entwicklung von insgesamt zehn Geräten. Den ersten Prototyp stellte Götsch im November 2021 auf dem Gut Alt Madlitz im deutschen Bundesland Brandenburg vor, der ersten Versuchsfläche für syntropische Landwirtschaft in Deutschland. Auf diesem Hof demonstrierte Götsch eine Bodenfräse mit Grubber. Ein Grubber wird zur Lockerung und Krümelung des Bodens sowie zur Unkrautbekämpfung und zur Einarbeitung von humosen Materialien in den Boden eingesetzt. Götsch kommt ursprünglich vom Thurgauer Seerücken in der Nähe des Bodensees. Nach dem Studium der Landwirtschaft hat er vier Jahre beim Institut für Pflanzenbau in Zürich gearbeitet. Über verschiedene Umwege gelangte er Anfang der 1980er-Jahre nach Brasilien. Dort begann er auf einer ausgedörrten Farm in Pirai do Norte im Gliedstaat Bahia, die von der Kakaobehörde als «unbrauchbar» gekennzeichnet war, genau diese Frucht erfolgreich anzubauen. Videoaufnahmen von heute zeigen Götschs Farm als grünen und üppigen tropischen Regenwald.

Quelle: https://www.rhenustek.ch/index.php/produkte/TLP-80-S

Wie funktioniert die Umstellung

Innovative deutsche Landwirte wie Benedikt Bösel legen auf ihrem Betrieb Testflächen an, beginnen mit Zwischenschritten wie Baum- und Strauchhecken oder Dauerbegrünung. Auf seiner Webseite und in den sozialen Medien gibt er Einblicke. Ein Artikel entstand meinerseits zu dem Thema.

Ernst Götsch hat einige Vorträge über seine Forschung zu Syntropischen Agroforsten online gestellt und es finden gelegentlich live Workshops statt – alle Informationen dazu gibt es hier.

Wem das nicht reicht, der kann sich in der Climate Farmers Community mit anderen Farmern austauschen, die ebenfalls neue Schritte gehen wollen – Bösel ist einer von ihnen. Am besten gelingt die Umstellung mit einem Mentor, der Syntropische Landwirtschaft bereits erfolgreich in einer ähnlichen Klimazone umsetzt.

Landwirt Adam Kahane aus Neuseeland hat eine praktische Datenbank zum Einstieg zusammengestellt. Dort finden sich Lehrer, Online-Kurse, Beispielfarmen, Datenbanken für Pflanzengesellschaften, Online-Handbücher für den Start, Zeichnungen, Videos und Foren, die auf Syntropische Landwirtschaft spezialisiert sind. Auf jeden Fall einen Besuch wert.

Die 3 Säulen der Syntropischen Agroforstwirtschaft

  1. Komplexe Pflanzengesellschaften: Die Auswahl der Pionierpflanzen und Folgepflanzengesellschaften erfolgt auf Basis erfolgreicher heimischer Pflanzengemeinschaften und dazu passender, einander unterstützender Kulturpflanzen. In der Syntropischen Landwirtschaft wird ein Schwerpunkt auf mehrjährige Pflanzen gelegt, die weniger arbeitsintensiv sind und eine dauerhafte Bodendurchwurzelung ermöglichen. Doch auch einjährige Kulturen sind ein wichtiger Bestandteil. 
    Baumstreifen können beispielsweise aus Edel- und Energieholz sowie Nuss- und Fruchtbäumen verschiedener Höhe bestehen. Dazwischen sitzen mehrjährige Sträucher und Stauden, der Boden wird mit einjährigen Stauden, Früchten und Gemüse bepflanzt. Sobald geerntet wird, kommt in sinnvoller Reihenfolge die nächste Kultur, Zwischenfrüchte oder Bodendecker in die Erde – es gibt in dem Sinne kein Brachliegen. Der Boden bleibt niemals unbedeckt – schon bei der Ernte bleiben alle Überreste der Kulturpflanzen liegen, am Stück oder gehäckselt.
  2. Anthropogene Sukzession: Robuste Pionierpflanzen, die Mangelböden oder gar Grenzstandorte besiedeln können, werden nach einer Weile durch immer anspruchsvollere und höherwertige Kulturpflanzen- oder Pflanzengemeinschaften ersetzt – wie es auch bei natürlicher Sukzession beispielsweise auf einer Brachfläche ablaufen würde – nur eben über hunderte Jahre. Durch den aktiven Humusaufbau und das Management der Nährstoffkreisläufe kann diese Abfolge so stark beschleunigt werden, dass innerhalb weniger Jahre bis Jahrzehnte auf Ödland wieder Biotope entstehen können.
  3. Beschnitt und Wachstumsimpulse: Ein Hauptbestandteil in der Syntropischen Landwirtschaft ist die Biomasse-Produktion für das überdurchschnittliche Mulchen. Der Beschnitt der begleitenden Biomasse-Pflanzen, der Gehölze und Gräser sowie das Aufbringen von Spreu und Ernteresten stellen auch in schmalen Agroforststreifen waldähnliche Bodenbedingungen her und sind eine effiziente Methode, um Bodenleben und Humusakkumulation anzuregen. Gleichzeitig werden Wachstumsimpulse ausgelöst und über die Wurzeln in den Boden abgegeben. So wird nicht nur die beschnittene Pflanze hormonell angeregt, sondern auch die umliegenden.
Quelle: https://amazonian-future.de/syntropie/
Die Variante des Syntropischen Waldgartens eig­net sich hin­ge­gen für Kakao oder Bananen.

Ein echter Tausendsassa

Wir kennen das Prinzip der anthropogenen Sukzession von Mischwald-Aufforstungen, doch im Fall der Syntropischen Agroforstwirtschaft zahlt sich die Methode zeitnah aus und belohnt den Aufwand mit stabilen Kultur-Ökosystemen und vielfältiger Monetarisierung. Ein einzelnes Feld kann dann Holz, Fasern, Honig, Nüsse, Zierpflanzen und Blumen, Obst und Gemüse abwerfen – über vier Jahreszeiten verteilt. Durch die langfristige Planung und künstliche Sukzession kommen jedes Jahr weitere oder bessere Einkommensquellen hinzu.

Werden Tiere in das System integriert, können Fleisch, Leder, Wolle, Milch oder Eier dazukommen. Da lichte Waldstreifen oder halb offene Wälder das stärkste Wachstum verzeichnen, ist Tierhaltung in den Zwischenreihen (wechselweise mit Getreideanbau) einfach zu integrieren, zum Beispiel im Kurzumtrieb. Die klassische Streuobstwiese kann ebenfalls syntropisch genutzt werden. Kreisförmige Mini-Biotope rund um die Obstbäume können ebenfalls mit ein bisschen Köpfchen in die Tierhaltung integriert werden.

Fazit

Festzuhalten ist, dass es zwar möglich ist, Syntropische Landwirtschaft im ganz großen Stil zu betreiben, die Methode aber noch am meisten für kleine Betriebe lohnt, die aktuell unter harten Bedingungen wie Mangelböden oder Extremklima wirtschaften. Doch auch große Betriebe wie Gut & Bösel können einen Teil des Landes syntropisch bewirtschaften. Und spätestens, wenn alle acht von Götschs Landmaschinen auf dem Markt sind, kann die Syntropie überall Einzug halten.

Bild- und Testquellen: Ernst Götsch, amazonian-future, Syntropic, Humintech